Wenn mir damals in Deutschland jemand gesagt hätte, dass ich eines Tages täglich meditieren würde, hätte ich ihn ausgelacht. Meditation? Das war für mich damals esoterischer Quatsch, etwas für Hippies und spirituelle Spinner. Ich war Deutscher, rational denkend, pragmatisch und viel zu beschäftigt für solchen „Unsinn“.
Heute, nach über zwei Jahrzehnten in Südostasien, ist Meditation fester Bestandteil meines Alltags. Über die Jahre habe ich zudem einen echten Hang zur buddhistischen Lebensweise entwickelt. Erleuchtung zu erlangen ist zwar nicht mein oberstes Ziel, aber wenn es passiert, würde ich mich auch nicht beschweren. Vor allem aber habe ich gemerkt, wie praktisch und lebensverändernd diese Praxis im Alltag ist.
Der Anfang: Skeptisch, aber neugierig
Mein erster Kontakt mit Meditation kam nicht durch spirituelle Erleuchtung, sondern durch stressige Lebensumstände. In meiner Zeit in Sihanoukville, als die Invasion der Chinesen in vollem Gange war und wir ständig umziehen mussten (6 × in knapp einem Jahr), weil unsere Unterkünfte jedes Mal an Chinesen verkauft oder vermietet wurden, war es nicht mehr lustig. Zudem verwandelte sich das einst beschauliche Städtchen in ein lautes, hektisches Durcheinander.
Wegziehen aus Sihanoukville wollte ich aber auch noch nicht, da ich von Bekannten damit beauftragt wurde, Käufer für ihre Häuser zu finden. Die Provisionen dafür wollte ich mir natürlich nicht entgehen lassen. In dieser Zeit war mein Kopf permanent voll, mein Schlaf schlecht, meine Geduld dünn.
Ein befreundeter Expat, der ebenfalls schon lange in Sihanoukville lebte, meinte damals zu mir: „Du solltest dir mal auf YouTube die Videos von Eckhart Tolle ansehen, das hilft gegen den Stress.“ Zudem gab er mir Eckhart Tolle’s Hörbuch „Jetzt! Die Kraft der Gegenwart“, womit ich dann meine spirituelle Reise begonnen habe.
Ich erfuhr unter vielen anderen interessanten Dingen, die das Leben betreffen, dass Meditation der beste Weg ist, um Stresssituationen mit Ruhe und Gelassenheit zu überstehen.
Die ersten Versuche: Chaos im Kopf
Meine ersten Meditationsversuche waren frustrierend. Ich setzte mich hin, schloss die Augen und versuchte, an nichts zu denken. Resultat: Mein Kopf wurde noch voller. Gedanken rasten, To-do-Listen entstanden, Sorgen wuchsen. Nach fünf Minuten gab ich auf, das war ja noch stressiger als vorher!
Das Problem: Ich hatte keine Ahnung, was Meditation eigentlich ist. Ich dachte, man müsse den Kopf „leer machen“, was eine völlig falsche Vorstellung ist. Meditation ist nicht das Ausschalten der Gedanken, sondern das bewusste Beobachten ohne zu bewerten.
Ein kambodschanischer Mönch erklärte mir später: „Gedanken sind wie Wolken am Himmel. Du bist der Himmel, nicht die Wolken. Lass sie ziehen, ohne ihnen zu folgen.“
Das klang poetisch, aber wie sollte das praktisch funktionieren?
Der Durchbruch: Meditation und Atemtechniken
Was mir schließlich half, waren Videos mit Anleitungen von buddhistischen Mönchen. Daraus lernte ich, dass Atemmeditationen für Anfänger der beste Weg seien. Einfach nur auf den Atem achten: Einatmen, ausatmen. Wenn Gedanken kommen, zur Atmung zurückkehren. Keine Bewertung, kein „richtig“ oder „falsch“, einfach nur beobachten.
Das war der Schlüssel. Plötzlich funktionierte es. Nach zwei Wochen täglicher Praxis (anfangs nur 5 Minuten) merkte ich erste Veränderungen: Ich war ruhiger, geduldiger, weniger gestresst. Mein Schlaf verbesserte sich. Probleme erschienen kleiner, überschaubarer.
Ich war überrascht und überzeugt.
Meine heutige Praxis: Morgenritual und Atemübungen
Seitdem meditiere ich jeden Tag. Manchmal am Vormittag, manchmal nachmittags und am häufigsten am frühen Abend. Zudem habe ich mir angewöhnt, mich sofort nach dem Aufwachen erst einmal auf die Bettkante zu setzen und für kurze Zeit bewusst ein- und auszuatmen. Währenddessen denke ich an drei Dinge, für die ich dankbar bin. Zum Beispiel, dass ich gesund bin, dass ich genug Arbeit habe und dass ich in Kambodscha leben darf.
Meist meditiere ich in Stille, ab und zu höre ich während der Meditationen die Gebete buddhistischer Mönche. Es variiert je nach Lust und Laune.
Effektive Atemübungen sind zum Beispiel:
Die „4-7-8-Technik“: 4 Sekunden einatmen, 7 Sekunden halten, 8 Sekunden ausatmen. Diese Technik beruhigt das Nervensystem sofort, perfekt bei Stress oder vor dem Schlafengehen.
Eine andere Technik ist die Wechselatmung (Nadi Shodhana). Abwechselnd durch das linke und rechte Nasenloch atmen. Klingt seltsam, wirkt aber erstaunlich beruhigend.
Was Meditation mir gebracht hat
Nach Jahren regelmäßiger Praxis kann ich klar sagen: Meditation hat mein Leben verändert. Nicht dramatisch, nicht über Nacht – aber nachhaltig und tiefgreifend.
Weniger Stress – ich reagiere gelassener auf Probleme. Was mich früher aus der Fassung gebracht hätte, löst heute meist nur noch ein Schulterzucken aus. Meditation hat mein inneres Thermostat heruntergedreht.
Besserer Schlaf – durch die Meditation und Atemübungen schlafe ich schneller ein und tiefer durch. Mein Kopf hört auf zu rasen, sobald ich mich hinlege.
Mehr Präsenz – ich bin mehr im Hier und Jetzt. Statt ständig über Vergangenheit oder Zukunft nachzudenken, bin ich präsent bei dem, was ich gerade tue. Das macht das Leben intensiver und angenehmer.
Bessere Selbstwahrnehmung – ich erkenne meine Gedankenmuster und emotionalen Reaktionen früher. Das gibt mir die Wahl, bewusst zu reagieren, statt automatisch zu reagieren.
Mehr Geduld – mit über 50 wird man natürlich ohnehin geduldiger, aber Meditation hat diesen Prozess beschleunigt. Ich rege mich weniger auf, urteile weniger schnell, bin toleranter.
Verbesserte Konzentration – meine Fähigkeit, mich auf eine Sache zu konzentrieren, hat sich deutlich verbessert. Beim Arbeiten am Computer bin ich fokussierter, beim Lesen aufmerksamer.
Alles in allem hat mir Meditation ein angenehmeres und intensiveres Lebensgefühl vermittelt.
Achtsamkeit im Alltag: Mehr als nur Sitzen
Meditation ist nur ein Teil der Achtsamkeitspraxis. Mindestens genauso wichtig: Achtsamkeit im Alltag integrieren. Das bedeutet, bewusst wahrzunehmen, was man gerade tut. Bewusst essen, bewusst gehen, bewusst zuhören, bewusst atmen.
Achtsames Essen – statt beim Essen nebenbei auf dem Handy zu scrollen oder fernzusehen, konzentriere ich mich aufs Essen. Wie schmeckt es? Welche Texturen gibt es? Wie fühlt sich das Kauen an? Das klingt simpel, verwandelt aber eine alltägliche Tätigkeit in eine meditative Praxis.
Achtsames Gehen – schon beim morgendlichen Gang zur Mülltonne gehe ich bewusst. Ich spüre meine Füße auf dem Boden, nehme Geräusche wahr, rieche die Luft. Statt gedanklich schon beim Frühstück zu sein, bin ich beim Gehen.
Achtsames Zuhören – wenn mir jemand etwas erzählt, höre ich wirklich zu, ohne gleichzeitig über meine Antwort nachzudenken oder abgelenkt zu sein. Vollständige Präsenz beim Gegenüber. Das verbessert Beziehungen enorm.
Achtsamkeit beim Training – im V12 Gym trainiere ich nicht nur meinen Körper, sondern auch meine Achtsamkeit. Ich spüre in die Übungen hinein, nehme die Muskelanspannung wahr, konzentriere mich auf die Atmung. Das macht das Training effektiver und verhindert Verletzungen.
Die Herausforderungen: Disziplin und Geduld
Meditation ist keine schnelle Lösung. Die Ergebnisse kommen nicht sofort, und es braucht Disziplin, dranzubleiben.
Die ersten Wochen sind hart – man sitzt da, langweilt sich vielleicht, der Rücken schmerzt, die Gedanken rasen. Man fragt sich: „Was soll das bringen?“ In dieser Phase geben die meisten auf.
Der innere Schweinehund – jeden Tag gibt es die Versuchung, die Meditation auszulassen. „Nur heute nicht, bin zu müde, habe keine Zeit, mache ich später…“ Der Trick: Einfach machen. Auch wenn es nur 5 Minuten sind.
Keine spektakulären Erlebnisse – Meditation ist meist nicht spektakulär. Keine Erleuchtung, keine mystischen Visionen, keine Wunder. Es ist einfach nur… ruhig. Das kann enttäuschend sein für Menschen, die Dramatik erwarten.
Fortschritt ist subtil – man merkt die Veränderungen oft nicht selbst. Aber andere bemerken es: „Du wirkst entspannter“, „Du reagierst nicht mehr so schnell genervt“. Die Veränderung geschieht langsam, von innen nach außen.
Meine Tipps für Einsteiger
Wenn du mit Meditation beginnen möchtest – egal ob in Kambodscha oder sonstwo –, hier sind meine Ratschläge:
- Klein anfangen – nicht mit 60 Minuten starten. 5-10 Minuten reichen am Anfang völlig. Lieber kurz und täglich als lang und unregelmäßig.
- Geführte Meditationen nutzen – Apps wie Headspace, Calm oder Insight Timer (viele kostenlose Inhalte auch auf Deutsch) sind perfekt für Einsteiger.
- Feste Zeit etablieren – am besten morgens, gleich nach dem Aufwachen. Dann wird es zur Routine, bevor der Alltag dazwischenkommt.
- Erwartungen loslassen – es gibt kein „richtig“ oder „falsch“. Gedanken kommen – das ist normal. Einfach zurück zur Atmung.
- Geduld haben – mindestens 3-4 Wochen täglich praktizieren, bevor man aufgibt. Die Veränderungen brauchen Zeit.
- Mit Atemübungen beginnen – Atemtechniken sind einfacher als „stille Meditation“ und zeigen schneller Wirkung.
- Gemeinschaft suchen – in Kambodscha gibt es in einigen Tempeln kostenlose Meditationskurse. Auch für Nicht-Buddhisten zugänglich. In Deutschland gibt es Volkshochschulkurse oder lokale Gruppen.
Mein Fazit: Eine der besten Entscheidungen meines Lebens
Nie hätte ich gedacht, dass Meditation eines Tages so wichtig für mich werden würde. Aber nach Jahren der Praxis kann ich sagen: Es ist eine der besten Entscheidungen, die ich je getroffen habe.
Meditation hat mich nicht zu einem anderen Menschen gemacht, aber zu einem ruhigeren, bewussteren, zufriedeneren. Sie hat mir geholfen, mit dem Älterwerden umzugehen, mit Stress besser klarzukommen und das Leben intensiver zu genießen.
Und das Beste: Man braucht dafür nichts außer sich selbst. Keine Ausrüstung, kein Geld, keinen besonderen Ort. Nur die Bereitschaft, jeden Tag ein paar Minuten still zu werden.
In einer Welt, die immer lauter, schneller und hektischer wird, ist das eine revolutionäre Handlung: Einfach mal nichts tun. Einfach mal nur sein.



